Samstag, 8. Oktober 2016

TTIP - Eine Analyse

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TTIP ist nach wie vor ein höchst umstrittenes Thema, während sich in den deutschen und österreichischen Medien, sowie in der Bevölkerung, eine eindeutig negative Haltung gegenüber dem Freihandelsabkommen abzeichnet, wird es von den großen Politikern, wie Merkel, weiter vorangetrieben. Was hat es damit auf sich?, und was spricht eigentlich für das Abkommen, welche großen Vorteile dürften wir uns erwarten?

Berichterstattung
Wenn man die Berichterstattung in den Medien etwas betrachtet, fallen einige Dinge auf. Zum Beispiel, dass sämtliche kritische Artikel zwar mögliche Nachteile aufzeigen, aber keine wirklich schlagkräftigen Argumente liefern. Am bekanntesten sind oberflächliche Argumente rund um die Geheimverhandlungen, Standards und Schiedsgerichte - auf welche wir noch zurückkommen werden. Aber generell lässt sich die ganze Debatte in den Medien, rund um TTIP, im Grunde als ein Überdruckventil für den Unmut der Bevölkerung betrachten. Dieser wird damit der Wind aus den Segeln genommen, es wird der Eindruck erzeugt die Medien stünden auf der Seite des Widerstandes und “kümmern sich schon darum”. Sie sind sozusagen eine Pufferzone zwischen Bevölkerung und Politik. Wie ich zu dieser Ansicht komme? Nun in anbetracht der, vor allem in Deutschland, mehrfach aufgezeigten Verbindungen zwischen Medien und Politik, sowie zu transatlantischen Think-Tanks, würde es mich wundern wenn die Leitmedien sich auf einmal auf die Seite der kritischen Bevölkerungsteile geschlagen hätten.

Ein weiterer, bezüglich der Berichterstattung zu TTIP, interessanter Punkt sind die angesprochenen Geheimverhandlungen. Befürworter des Abkommens weisen immer wieder darauf hin, dass ja die EU-Kommission selbst Papiere zu den Verhandlungen veröffentlicht. Schön und gut, aber hier lässt sich meiner Meinung nach ein Widerspruch feststellen: Wenn die EU schon selbst Informationen veröffentlicht, wieso dürfen dann nicht auch die Abgeordneten der nationalen Parlamente über die Informationen, die sie in den Leseräumen erfahren, diskutieren?, warum dürfen Informationen nur von einer Quelle veröffentlicht werden?

Angebliche Vorteile
Befassen wir uns nun etwas mit den in Aussicht gestellten Vorteilen und Fortschritten des Abkommens. Interessant wäre es einmal, diese von den Politikern, welche das Abkommen befürworten, zu erfahren - und zwar nicht nur durch plumpes einwerfen von Worten wie “Wachstum” oder “Arbeitsplätzen”. Ich habe zu diesem Zweck einige Artikel in Spiegel und FAZ durchsucht, die versprochenen Vorteile sind aber fast alle entweder sehr schwach, nicht spezifisch für TTIP oder es wird nicht erklärt über welche Methoden und Zusammenhänge sie zustande kommen sollen, was meiner Meinung nach sehr wichtig für das Verständnis ist.

Ein häufig erwähnter Punkt ist die Abschaffung von Eigentumsbeschränkungen, was wohl allen voran mehr Privatisierungen ermöglichen soll und Investoren zugute kommt, die sich zu größeren Anteilen beteiligen können. Ob das als Vorteil zu sehen ist, sollte kritisch betrachtet werden. Privatisierungen sind natürlich nicht generell als schlecht oder gut zu betrachten, es kommt auch darauf an was privatisiert wird. Hier eine Möglichkeit, die ich als sinnvolle Lösung, was die Privatisierung von Versorgungsinfrastruktur - Wasserversorgung, Müllabfuhr usw. - betrifft, betrachte. Die Instandhaltung der Infrastruktur erfolgt durch den Staat und bleibt auch in dessen Besitz, er vermietet sie jedoch an private Unternehmen. Damit ist sichergestellt, dass die Qualität und Verfügbarkeit der Dienste gewährleistet ist, während sie gleichzeitig von konkurrierenden, gewinnorientierten Unternehmen verwaltet werden.

Das Wegfallen von Zöllen wird ebenfalls sehr oft als Fortschritt betitelt und soll niedrige Preise für die Konsumenten mit sich bringen. Ob sich ein Wegfall der Zölle (Standardzoll 6%) jedoch tatsächlich in den Preisen für Endverbraucher widerspiegelt ist meiner Meinung nach aber fraglich. Im Falle des Zuckerpreises hat sich gezeigt, dass ein niedrigerer Preis (durch die Zuckermarktreform) von den weiterverarbeitenden Unternehmen zur Erhöhung der Gewinnmarge genutzt wird und nicht an die Konsumenten weitergegeben wird. Ähnlich verhält es sich auch bei einem Fall des Ölpreises, dieser wird erst verzögert durch billigeres Benzin und Diesel an die Kunden weitergegeben. Darüber hinaus wäre der Unterschied, an einem einzelnen Produkt bemessen, wohl auch eher gering. Außerdem sind Zölle ein durchaus wichtiger Steuerungsmechanismus, um zum Beispiel Wettbewerbsvorteile (niedrigere Produktionskosten im Land von dem importiert wird) zu kompensieren. Daher halte ich es nicht für sinnvoll, dies in einem völkerrechtlichen Vertrag festzuhalten.

Kommen wir nun zu den zwei wohl wichtigsten als Gewinn betitelten Folgen von TTIP. Einer soll die Schaffung von Arbeitsplätzen sein: Laut FAZ kann in Deutschland mit einem Zuwachs von rund 110.000 Arbeitsplätzen gerechnet werden, der Zeitraum bis wann diese Zahl realisiert werden soll wird dabei nicht erwähnt (im Spiegel findet sich aber eine ähnliche Zahl, auf 15 Jahre befristet). Bemessen an der derzeitigen Arbeitslosenzahl in Deutschland von etwa 2,7 Mio. (statista.com), sind das mickrige 3,7% aller Arbeitslosen. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass aufgrund der, nach TTIP, von außen importierten Produkte natürlich auch Arbeitsplätze gefährdet werden. Ob durch TTIP also tatsächlich ein Nettozuwachs an Arbeitsplätzen zu erreichen wäre ist mehr als unsicher.

Zweiter großer Pluspunkt soll der Anstieg des Wachstums in der EU sein. Auch hier habe ich in der FAZ einige Zahlen gefunden, die ernüchtern. Bis 2027 soll das BIP der EU im besten Fall(!) um 120 Mrd. Euro höher sein als ohne TTIP. Derartige Prognosen sind natürlich immer kritisch zu betrachten und man kann den tatsächlichen Unterschied sowieso nie nachmessen, denn es wird nur einen Fall geben. Gehen wir aber einmal von dieser Zahl aus und betrachten sie in Relation zum derzeitigen BIP der EU, dieses wird 2015 auf 14,7 Bio. Euro bemessen. Die angepeilten 120 Milliarden würden also eine Steigerung von lächerlichen 8 Promille durch TTIP ausmachen, außerdem ist davon auszugehen, dass das BIP der EU bis 2027 noch deutlich steigt.

Aus diesen Gründen ist es wichtig die möglichen Wirtschaftsvorteile von TTIP auch Alternativen gegenüber zu stellen. Ein weiterer Punkt der die obige Kritik an den Medien bestärkt, denn genau das wird von ihnen nicht gemacht, der Widerstand wird verdampft und nicht gebündelt. Welche Alternativen kämen hier in Frage? Einerseits, ganz klar, das Aufheben der ungerechtfertigten Sanktionen gegen Russland, diese haben sowieso mehr Schaden als sonst etwas angerichtet, was schließlich in ihrer Natur liegt. Darüber hinaus sollte auch ein verstärkter Handel mit Ländern wie Russland, immerhin Nachbar der EU, China und anderen in Betracht gezogen werden.

Denn wenn man genau hinschaut ist genau das auch ein Problem von TTIP, es bindet die EU an Amerika, welches ja ganz offensichtlich in einen Wirtschaftskrieg mit Russland und China verwickelt ist. Wenn die USA und Europa ihre Standards angleichen und völkerrechtlich niederschreiben wird dieser Handelsraum für die beiden Ländern aus dem Osten natürlich schwerer zugänglich.

Zusammenhänge und Kritikpunkte
Hier meine Hauptkritikpunkte an dem Freihandelsabkommen, angefangen bei der Diskussion um die Standards. Dazu eingangs zwei Zitate aus dem Spiegel:

“US-Bauern dürfen Pestizide oder Hormone einsetzen, die in der EU verboten sind. Auch sind europäische Umweltauflagen strenger als amerikanische. Was auf US-Seite als Handelshemmnis gesehen wird, betrachten EU-Verhandler als notwendig - auch, weil der Protest von Landwirten und Umweltschützern so laut ist.”


“In Europa gilt das Vorsorgeprinzip. Erst wenn Stoffe nachweislich unschädlich sind, dürfen sie verarbeitet werden. In den USA gilt das Nachsorgeprinzip: Solange es keine wissenschaftlich eindeutig belegten Gefahren gibt, dürfen alle Produkte auf den Markt.”


Es ist also sehr wohl eine Diskrepanz ersichtlich und wenn davon die Rede ist die Standards beider Handelsräume anzugleichen, ist die Frage zu wessen Vor- oder Nachteil dies geschehen wird. Darüber hinaus ist anzumerken, dass diese Standards durch TTIP völkerrechtlich verankert sind und damit nur sehr schwer wieder reformiert werden können.

Ein weiterer wichtiger Zusammenhang bezüglich der Standards darf auch nicht außer acht gelassen werden: Die amerikanischen Unternehmen sind meist größer und finanziell langatmiger, dass hat zur Folge, dass sie eine weit aggressivere Preispolitik anwenden können und europäische Unternehmen unter Umständen kaputt wirtschaften können. Diese werden dann zu Übernahmekandidaten für amerikanische Konzerne und Investoren. Schlussendlich haben diese dann die Möglichkeit nur die minimalen Anforderungen an Standards einzuhalten oder die Preise im Nachhinein wieder stark zu steigern. Das alles kann gefährlich werden, wenn die Mittel zur Regulierung von Produkten aus dem Ausland erst einmal beseitigt sind.

Auch die Schiedsgerichte sind natürlich kritisch zu sehen. Wenn Investoren aufgrund von demokratischen Entscheidungen Gewinne entgehen, ist es gerecht sie in einem angemessenen Ausmaß zu entschädigen. Sprich, die Menge an Kapital, die dem Staat aufgrund der Investition zugute gekommen ist, sollte auch wieder zurückerstattet werden. Aber man sollte nicht den Fokus auf Investorenschutz und die Beseitigung von “Handelshemmnissen” legen, denn wir leben schließlich in einer (Schein)Demokratie und das Recht sollte schließlich vom Volk ausgehen, welches nun mal die Möglichkeit hat Einfluss zu nehmen. Ich finde es nicht angebracht eine Paralleljustiz zu verankern, welche sich demokratischer Kontrolle entzieht.

Vereinbarkeit mit der Demokratie
“Das ist für die deutsche Wirtschaft gut, das ist für die gesamte europäische Wirtschaft gut”, so die deutsche Bundeskanzlerin. Aber hier eine Gegenfrage: Ist es auch für die deutsche und die europäische Bevölkerung gut?, sollten wir tatsächlich politische Entscheidungen an der Wirtschaft bemessen oder doch an der Bevölkerung?

Bei TTIP wurde der Fokus jedenfalls auf die Wirtschaft gerichtet, das zeigt sich an den verschiedenen Kritikpunkten sehr deutlich. Das Abkommen soll Investoren und Großkonzernen höhere Gewinne ermöglichen und Europa an die USA binden, um die chinesische Konkurrenz in Schach zu halten und Russland weiter zu schwächen. Keiner der vermeintlichen großen Vorteile ließe sich nicht auch ohne das Freihandelsabkommen erreichen und darüber hinaus ist es nicht in Europas Interesses sich von Russland und Asien abzuwenden. Meiner Ansicht nach ist es außerdem unglaubwürdig, dass sich TTIP zum Wohle der Bevölkerung auswirkt, schon allein wegen des massiven Lobbying von Seiten der Konzerne.

Fazit
Man kann dem Vorhaben eines Freihandelsabkommen nicht alles absprechen. Zum Beispiel die Tatsache, dass aufgrund der verschiedenen Standards in beiden Handeslräumen Zulassungsverfahren notwendig sind, bietet durchaus Spielraum zur Verbesserung, wie auch von TTIP beabsichtigt. Jedoch, wenn keine separaten Zulassungsverfahren notwendig sind, wer führt dann die Tests durch? Überhaupt, ein Zitat aus der FAZ stimmt mich fraglich ob zu diesem Zweck ein Freihandelsabkommen notwendig ist: “Der Antihistaminhersteller Absam aus Österreich exportiert in 60 Länder, nicht aber in die Vereinigten Staaten, da er dazu neben den heimischen Inspekteuren auch noch amerikanische bezahlen müsste – obwohl beide auf Basis derselben internationalen Regeln arbeiten” Wie gelingt dann der Export in diese 60 Länder, ich kann mir schwer vorstellen, dass mit all diesen ein Freihandelsabkommen abgeschlossen wurde.

Die EU sollte außerdem nicht den Handel mit Russland und China vernachlässigen, wir wären in der Lage mit allen Partnern vernünftig zu handeln, ohne uns auf eine Seite zu schlagen. Die Sanktionen gegen Russland könnten im groben auch als Gegenteil von Freihandel bezeichnet werden. Auf der einen Seite wird etwas befürwortet, während man auf der anderen das Gegenteil macht. Eine bekannte Doppelmoral der transatlantischen Politik. Und wenn jetzt jemand sagt, die Sanktionen gegen Russland sind gerechtfertigt, so hätte die EU die USA in der Vergangenheit schon mehrmals sanktionieren müssen.

Auch ist Freihandel an sich selbstverständlich nicht generell abzulehnen, jedoch kann er nicht einfach mit dem Argument des Fortschritts durchgesetzt werden. Es ist abzuwägen wie notwendig einzelne Aspekte aus demokratischer Sicht sind, nicht vorrangig aus wirtschaftlicher. Denn in Aussicht gestellter Fortschritt sollte immer mit den Fragen: “Zu welchem Preis?” und “Profitiert jemand unverhältnismäßig mehr als die anderen?” verbunden werden.

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